Grenoble, je viens!

01.04.2023 - 30.09.2023
04.10.2023, Anaïs Siebers
#Grenoble, #Auslandsaufenthalt, #Forschung

Mir war schon immer klar, dass ich gerne zeitweilig ins Ausland möchte. Da der größte Teil meines Studiums (Bachelor und Master) während Covid in Distanz stattgefunden hat, war ein Auslandsaufenthalt schwierig. Durch den Wechsel der Universität zum Master war die Planung zusätzlich erschwert. Da mein Studiengang (Cognitive Science) nicht sehr groß ist und ich in Regelstudienzeit studieren wollte (die Fächer im Ausland wären nicht ausreichend anerkannt worden), gab es keine Kooperationen, die für mich infrage kamen. Daher entschloss ich mich, meine Masterarbeit im Ausland zu schreiben. Dies gab mir die größten Freiheitsgrade, hieß aber auch, dass ich mich selber um alles kümmern musste. Ein weiterer Vorteil, den ich im Praktikum sah und immer noch sehe, ist, dass man „normal“ in dem Land lebt und arbeitet. Von dem, was ich gehört habe, ist das bei Erasmus oft nicht der Fall. Man bleibt eher unter den internationalen Studenten, spricht dort nur Englisch und ist als Student wenig im Alltagsleben integriert.

Ich wollte gerne nach Frankreich, da ich zum einen meine Sprachkenntnisse aus der Schule verbessern und zum anderen unseren Nachbarn besser kennenlernen wollte. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, eines Tages in Frankreich oder in internationaler Kooperation zu arbeiten.

Vorbereitung: Praktikumssuche, Wohnungssuche

Da ich mich entschieden hatte meine Masterarbeit und meinen Auslandsaufenthalt zu verbinden, habe ich im Internet nach einer passenden Forschungsgruppe gesucht. Ich fing über ein Jahr vorher mit der Recherche an. Meine Suche konzentrierte sich auf die Forschungsthemen, da ich 6 Monate lang Vollzeit daran arbeiten und meine Masterarbeit darüber schreiben würde. Zweitrangig war für mich das Land oder der Ort – ich wollte nur, dass überwiegend Französisch gesprochen wird.

Bei meiner Recherche stieß ich auf eine Initiative der französischen Regierung zum Thema Künstliche Intelligenz. Über diese Initiative habe ich dann verschiedene Forschungsfelder und Gruppen gefunden. Eine Gruppe stach mir besonders ins Auge. Eines Tages beschloss ich dann dem leitenden Wissenschaftler eine Mail zu schreiben. Es war die einzige Bewerbung, die ich verschickt hatte, da mich das Thema brennend interessierte und ich auch noch keine Alternative gefunden hatte. Ich erhielt unmittelbar eine Antwort auf meine Initiativbewerbung und wurde auch zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Das Gespräch hätte online stattfinden können, aber ich bin nach Grenoble gefahren, um mir vor Ort einen besseren Eindruck machen zu können. Entgegen meiner Erwartung unterhielt ich mich den ganzen Tag mit meinem zukünftigen Chef und ging auch mit dem Team mittags essen. Am Ende des Tages stand dann fest, dass ich das Praktikum dort werde machen können. Das war ein Jahr vor dem eigentlichen Aufenthalt und erlaubte mir mich entspannt um die Finanzierung, eine Wohnung etc. zu kümmern.

Die Innenstadt von Grenoble

Die Innenstadt von Grenoble

Blick aus dem Fenster meiner Wohnung

Blick aus dem Fenster meiner Wohnung

Die Wohnungssuche war dann doch etwas komplizierter, da Appartements selten nur für 6 Monate oder an Ausländer vermietet werden und ich auch keine Appartements besichtigen konnte. Da mein Praktikum nicht an der Uni stattfand (Forschung und Lehre sind in Frankreich stärker getrennt), konnte ich auch nicht in ein Studentenwohnheim. Wichtig war mir auch der Kontakt zu Franzosen, weshalb die internationalen Wohnheime für mich auch keine Option war. Am liebsten wäre ich in eine WG gezogen. Auch dies ist aus der Ferne schwer zu regeln und erfordert bei Ende des Praktikums die Suche nach Nachmietern. Am Ende entschied ich mich für ein Coliving-Hotel. Dort hatte ich die Vorzüge eines eigenen sehr neuen Appartements mit Küche und Bad, aber gleichzeitig gab es viele geteilte Räume: eine große Küche, eine große Terrasse mit Boulodrome, Gemeinschaftsgarten, ein kleines Kino etc. Die Wohnung war dadurch etwas teurer, aber das war es mir wert. Ich empfehle, in Grenoble jedoch auf jeden Fall darauf zu achten, im Sommer eine Klima zu haben. Ich komme zwar gut mit Hitze klar, aber bei 40 Grad tagsüber und über 24 Grad nachts tut es gut eine zu haben. Außerdem gibt es in Grenoble sehr viele Mücken und vor allem Tigermücken, die noch aggressiver sind. Alleine wegen der Mücken habe ich teilweise nachts das Fenster nicht öffnen können, obwohl ich im 7. Stock in der Stadt gewohnt habe.

Durchführung: Aufgaben und Betreuung, Konflikte und Lösungswege, Alltag und Freizeit

Mein Praktikum fand in Grenoble am INRIA (Institut national de recherche en informatique et en automatique; deutsch Nationales Forschungsinstitut für Informatik und Automatisierung) statt. Vor Ort habe ich an meiner Masterarbeit geschrieben. Mein Arbeitsweg war etwas länger, da ich lieber in der Nähe von Grenoble wohnen wollte und das Institut, an dem ich gearbeitet habe, etwas weiter außerhalb lag. Jedoch war mein Arbeitsweg von 40 min sehr schön. Ich hatte einen E-Scooter. Grenoble hat sehr tolle Fahrradwege und man kann auch preiswert Fahrräder mieten. Jedoch sollte man aufpassen, da in Grenoble in sehr viele Fahrräder gestohlen werden. Auch der ÖPNV ist sehr günstig.

Der Ausblick auf meinem Weg zur Arbeit

Der Ausblick auf meinem Weg zur Arbeit

Die Betreuung war sehr eng und schon vor meiner Anreise habe ich mehrfach mit meinem Professor gesprochen. In meiner Forschungsgruppe waren mehrere Bacheloranden, Masteranden und Doktoranden, sowie Postdocs und Professoren. Es gab regelmäßige Meetings mit dem ganzen Team und ich konnte meine Arbeit so auch oft präsentieren. Dadurch habe ich wertvolles Feedback und ganz unterschiedliche Ideen gewinnen können. Mein Büro habe ich mir mit einem Doktoranden geteilt und auf unserem Flur waren die Türen immer offen, sodass der Austausch mit dem Team sehr einfach war.

Es gab wenige Konflikte, jedoch war das Feedback sehr detailliert und streng. Allerdings habe ich dadurch viel lernen können. Ein bisschen schwierig war jedoch, dass mein einer Betreuer der Masterarbeit mein Professor in Frankreich war und mein anderer Betreuer ein Professor der RUB. Dadurch war die Kommunikation manchmal schwieriger und die Professoren hatten auch sehr verschiedene Ansätze und Vorschläge. Man sollte auch wissen, dass im August nichts in Grenoble los ist. Ich war mehrere Wochen auf der Arbeit ganz alleine, da alle im August Urlaub nehmen.

In meiner Freizeit habe ich verschiedene Ausflüge gemacht. Unter der Woche konnte ich nicht viel unternehmen, da ich Vollzeit gearbeitet hatte. Jedoch gab es gelegentlich Konzerte (zum Beispiel am Fête de la musique) und man kann gut im Sommer draußen in eine Bar oder essen gehen. Überraschenderweise wird sehr viel Bier getrunken. Man kann auch lecker essen: Es gibt vielen leckeren und guten Käse, der aus der Region kommt, unter anderem auch Raclette.

Lac d’Annecy

Der Lac d’Annecy, der sich wunderbar zum Schwimmen eigent

Gorges du Furon

Die Gorges du Furon, in denen man auch schwimmen kann, die aber sehr kalt sind

Am Wochenende habe ich Ausflüge nach Chambery, Annecy (dort gibt es auch schöne Badeseen für den heißen Sommer) oder Lyon gemacht. Anfang April konnte ich auch einen Tag in Chamrousse (eine Stunde Busfahrt von Grenoble) Ski fahren. Etwas weiter weg liegen Marseille, Turin oder Genf, die aber auch gut mit der Bahn oder dem Bus in ca. 3 Stunden erreichbar sind. Selbst Paris ist mit dem direkten INOUI nur 3 Stunden entfernt. Für Fahrten mit dem TGV kann ich die französische Jugendbahncard Carte Avantage Jeune (bis 25) empfehlen. In Grenoble selbst kann man mit der Gondel auf die Bastille fahren und hat bei gutem Wetter einen tollen Blick bis zum Mont Blanc. In der Nähe kann man gut wandern – zum Beispiel in den Gorges du Furon bei Sassanage. Ohne Auto ist man jedoch etwas eingeschränkt.   

Grenoble von oben

Grenoble von oben

Chamrousse

Skifahren in Chamrousse

Belledonne

Blick beim Skifahren auf Belledonne

Evaluation: beste und schlechteste Erfahrung

Es gab auch ein paar negative Erfahrungen. Zum einen wurde sehr viel gestohlen – trotz guter Schlösser habe ich zweimal beobachtet, wie jemand versucht hat meinen E-Scooter oder Fahrrad zu stehlen. Daher hatte ich auch den E-Scooter mit. Ihn konnte ich nachts leicht mit in meine Wohnung oder auch tagsüber in Supermärkte bzw. ins Büro nehmen.

Ein brennender E Scooter während der Krawalle

Ein brennender E Scooter während der Krawalle

Ohne E-Scooter hätte ich jedoch zum Teil Schwierigkeiten gehabt, denn gerade zu Beginn meines Aufenthalts gab es viele Streiks wegen der Rentenreform. Auch später gab es Probleme. Ich war in Frankreich, als in Paris Nanterre Nahel von Polizisten ermordet wurden. Dies hat zu landesweiten Krawallen geführt. Einen Abend kam ich nicht mehr nach Hause, da es zu gefährlich war. Auf den Straßen brannten Autos, die Innenstadt wurde ausgeraubt und die Polizei hat viel Tränengas versprüht. Zum Glück konnte ich bei Kollegen in der Stadt übernachten. Danach fuhr der ÖPNV sehr unregelmäßig und unzuverlässig. Spontan wurde er abends um 18 Uhr eingestellt, bis sich die Lage beruhigt hatte. Auch Läden schlossen spontan früher und die Innenstadt hatte deutlich gelitten.

Die Armut insbesondere in den Viertel Villeneuve und im Süden von Grenoble ist groß und wegen der Nähe zu der italienischen Grenze gibt es dort auch viel Drogenhandel, von dem man aber überhaupt nichts mitbekommt. Was ich nicht wusste, ist, dass die vielen Feuerwerke nachts der Kommunikation von Dealern dient. Sie informieren sich so, dass die Polizei kommt. Mir ist aber den ganzen Aufenthalt über weder etwas passiert noch habe ich mich je sehr unwohl gefühlt, obwohl ich abends auch alleine unterwegs war. Trotzdem sind mir die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen (Videokameras, viel Security und dass man sein Auto lieber in Garagen parkt) aufgefallen.

Es gab jedoch auch viele positive Aspekte. Jeden Morgen bin ich mit Blick auf die Alpen aufgewacht. Im Sommer wurde es sehr warm und man konnte abends wunderbar in der Stadt ausgehen, vom Essen ganz zu schweigen. Ich konnte meine Sprache verbessern und habe Freundschaften geknüpft, die hoffentlich mein Leben lang halten. Selbst die Aufruhen habe ich als wertvolle Erfahrung wahrgenommen und habe viel für mein Leben gelernt. Durch meine Wohnsituation habe ich Kontakt zu vielen verschiedenen Menschen gehabt und beim gemeinsamen Abendessen nicht nur neue Speisen kennengelernt. Ich würde meinen Auslandsaufenthalt jederzeit wiederholen und freue mich in Zukunft wieder nach Grenoble zu reisen, um meine Freunde zu treffen und hoffe, dass die Projekte, die ich gegen Ende dort starten konnte, in Zukunft erfolgreich weiter laufen.

Der Blick von der Bastille auf Grenoble und die umliegenden Aplen

Der Blick von der Bastille auf Grenoble und die umliegenden Aplen